«Es ist immer wichtig, finanziell unabhängig zu bleiben», sagt Johanna Heeb. Sie ist Inhaberin der Dorata Finance AG in Schaan und in den Bereichen Investment Consulting und Vorsorgeberatung tätig.
Frau Heeb, gibt es in Liechtenstein einen Gender Pension Gap? Wie hoch ist er?
Johanna Heeb: Meines Wissens gibt es keine aktuelle Studie, man kann diese Lücke also nicht in Zahlen beziffern. Natürlich gibt es Zahlen aus den Nachbarländern, die darauf hinweisen. Da wir, was die Vorsorge anbelangt, sehr stark an die Schweiz angelehnt sind, würde ich sagen: Ja, es gibt einen Gender Pension Gap.
Was ist der Grund für diese Vorsorgelücken?
Es gibt verschiedene Gründe. Hauptgrund ist, dass Frauen, wenn sie Kinder haben, öfter die Betreuung übernehmen und darum gar nicht oder nur in kleinen Teilzeitpensen erwerbstätig sind. Es summiert sich, wenn ich für fünf bis zehn Jahre gar nichts in die Pensionskasse einzahle. Der grösste Betrag in der Vorsorge kommt aus der Pensionskasse. Wenn ich über einige Jahre wenig oder gar nichts einzahle, schaut es im Pensionsalter anders aus als bei einem Mann, der jährlich einzahlt und sich mit dem Zinseszinseffekt ein Vermögen aufbaut.
Die zweite Säule, die betriebliche Vorsorge, kann nur in bestimmten Fällen aufgestockt werden.
Genau. Wenn ich angestellt bin, kann ich freiwillig einzahlen und meine Pensionskasse aufstocken, so kann ich allenfalls Vorsorgelücken schliessen, allerdings muss man dabei die finanziellen Möglichkeiten berücksichtigen. Ich würde dies ab einem gewissen Alter in Erwägung ziehen. Das kann man von den Steuern abziehen.
Welchen Einfluss haben geringes Einkommen, Erwerbsunterbrüche und Teilzeitarbeit auf die Vorsorgelücken? Gibt es Zahlen dazu?
Das ist schwierig zu beziffern. Es hat grundsätzlich weniger Einfluss auf die erste Säule, dort ist man mindestversichert, wenn man im Jahr 362 Franken einzahlt, auch wenn man nicht erwerbstätig ist. Wichtig ist hier, dass man alle Beitragsjahre abgedeckt hat. Grossen Einfluss hat es, wie bereits erwähnt, in der zweiten Säule. Ich möchte vorwegschicken: Jede Familie muss natürlich individuell und persönlich entscheiden, wie sie die Kinderbetreuung und die Familienarbeit organisiert. Rein rational, also von der finanziellen Seite her betrachtet, ist es entscheidend, in höheren Pensen und ohne Unterbrüche zu arbeiten. Wenn man komplett aus dem Arbeitsleben aussteigt, hat man keine Beiträge in der zweiten Säule und kann das Sparvermögen auch nicht aufstocken. Meine Empfehlung ist daher, immer im Erwerbsleben zu bleiben und in höheren Pensen zu arbeiten. Vielleicht ist es eine Lösung, die Erwerbsarbeit zwischen den Elternteilen aufzuteilen.
Es gibt die Möglichkeit, dass der Partner, der in einem höheren Pensum arbeitet, den anderen Partner finanziell unterstützt, die «kleinere» Pensionskasse aufzustocken.
Das wäre etwas, das man je nach Konstellation und finanziellen Möglichkeiten in Betracht ziehen könnte. Man sollte die zweite Säule der Frau nicht völlig vergessen. Das oft eingebrachte Gegenargument werde ich gleich entschärfen: Bei verheirateten Partnern wird im Falle einer Scheidung das Pensionskassenvermögen durch zwei geteilt. Das finde ich gut, trotzdem finde ich es besser, wenn beide Partner selbst die eigene Pensionskasse führen und aufbauen. Es ist immer wichtig, finanziell unabhängig zu bleiben. Studien beweisen, dass die Pensionskasse im Mittelstand bei vielen der grösste Vermögenswert ist. Man muss sich dieser Bedeutung bewusst sein.
Gibt es weitere Empfehlungen?
Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zahlen jeweils zu gleichen Teilen Beiträge an die zweite Säule. Der gesetzliche Mindestbeitrag beträgt je vier Prozent. Von diesem gesetzlichen Minimum kann abgewichen werden, meist werden von den Pensionskassen verschiedene Modelle vorgeschlagen. Wenn die Wahl bspw. auf fünf Prozent Arbeitgeberanteil fällt, gibt der Arbeitnehmer zwar ebenfalls mehr vom Lohn ab, die kumuliert zwei Prozent zusätzliche Beiträge schlagen sich in den absoluten Zahlen aber stark nieder. Der Arbeitgeber unterstützt mich also, wenn ich bereit bin, mehr zu bezahlen. Um ein höheres Pensionskassenguthaben zu erreichen, würde ich daher immer den höheren Beitrag wählen.
Gibt es Verbesserungspotenzial auf gesetzlicher Ebene?
Heute werden die erste und die zweite Säule sowie das private Sparen einzeln betrachtet. Es ist wichtig, das Thema Vorsorge ganzheitlich anzuschauen. Was wollen wir als Gesellschaft? Ich finde es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen. Hier sind meiner Meinung nach Staat und Gesetzgeber gefordert. Ein Beispiel: Der Mutterschaftsurlaub betrifft ausschliesslich den Arbeitgeber der Frau und seine Krankenkasse, somit erhöhen sich seine Beiträge. Man wird also gestraft, wenn man Frauen einstellt. Wieso kann man das nicht splitten auf beide Arbeitgeber? So würde man keine Fehlanreize setzen, keine Frau einzustellen. Ein anderes Beispiel: Ein Elternurlaub, bei dem beide Elternteile einen gewissen Pflichtteil haben – das heisst, dass auch der Vater einen Teil übernehmen müsste –, könnte dazu führen, dass es für einen Arbeitgeber keine Rolle spielt, eine Frau oder einen Mann einzustellen, da es dieselben Ausfallrisiken gäbe, wenn sie Eltern werden. Wir müssen das Thema grösser denken. Das Ziel muss sein, dass beide Elternteile Möglichkeiten haben, für das Alter vorzusorgen und Kapital anzuhäufen.
Wie kann und soll ich in Liechtenstein privat vorsorgen?
In Liechtenstein gibt es aktuell keine Säule 3a wie in der Schweiz. Dort kann man die dritte Säule ebenfalls von der Steuer abziehen, man will dadurch ermuntern, zu sparen. Es ist ein gebundenes Vermögen, ich kann es nur unter gewissen Voraussetzungen herausnehmen. Ich wäre eine Befürworterin dafür, ein solches System einzuführen, denn es setzt einen Anreiz zu sparen. Sparen werden wir müssen, die Altersarmut wird ansonsten stark zunehmen.
Aber ich kann privat sparen, auch mit kleinem Budget und ohne staatliche Unterstützung.
Auch mit Kleinkapital kann ich mit Wertschriften Investitionen tätigen. Es gibt kostengünstige, gute Lösungen. Es gibt Möglichkeiten, jeden Monat einen Fixbeitrag auf ein Portfolio einzuzahlen. Wichtig zu beachten ist: Es muss Geld sein, das ich nicht heute oder morgen brauche, denn man muss sich bewusst sein, dass man das Geld für einen längeren Zeitraum auf die Seite legt. Zudem gibt es ein gewisses Risiko durch Wertschwankungen. Auf lange Zeit zahlt es sich aus.
Was empfehlen Sie Frauen bei der privaten Vorsorge?
Man muss das Produkt anschauen und nur etwas machen, das man versteht, es sich erklären lassen von einer Fachperson, also Meinungen und Unterstützung einholen, und auf die Kosten schauen. Zudem sollte man ein Portfolio machen, mit dem man sich vom Risiko her wohlfühlt. Man soll noch gut schlafen können.
Interview: Corina Vogt-Beck
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